Die Wunschbrücke

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Grissa stampfte durch hohen Schnee, doch unter ihren steingrauen Füßen schmolz er und verwandelte sich in ein kleines Rinnsal.
„Es ist schon wieder so weit. Ich hatte gehofft, wir hätten noch mehr Zeit“, sagte sie mit dem traurigsten Blick, den eine Ukra, ein Wesen aus Stein mit glühendem Inneren, haben konnte, was bedeutete, dass die Flammen in ihren Augen etwas kleiner wurden.
Hinter ihr ertönte ein lautes Grummeln, als ob sich Steine bereit machen würden, von einem Hang in die Tiefe zu stürzen. Das konnte nur einer sein. Sie drehte sich um und sah ihren Mann, der laute Flüche ausstieß und wild auf dem Schnee herumstampfte. In seinem Zorn glühten seine Füße auf und verdampften den Schnee unter seinen Füßen augenblicklich.
Ukra Männer waren noch nie für ihre besondere Schläue bekannt, was vielleicht auch allgemein für Männer anderer Spezies galt.
„Du zertrittst nur die Samen der Blumen“, seine Frau trat an seine Seite und legte ihre Hand auf seine zart rot glühende Schulter, „Du kannst es nicht verhindern, selbst wenn du sämtlichen Schnee auf den sieben Welten vernichten würdest.“
Oki, so hieß er, hielt grummelnd inne und die Glut seiner rissigen Haut leuchtete etwas schwächer.
„Wieso haben uns die Götter nur damit gestraft? Haben wir ihnen etwa Unrecht getan? Haben wir sie zornig gemacht?“, fragte er voller Verzagen, wartete jedoch nicht auf eine Antwort, „Wir hätten halt nie in eine Wohnung einziehen sollen, die einmal von Trollen bewohnt wurde.“
„Die Idee war gar nicht so schlecht, auch wenn es zu Anfang etwas gestunken hat.“
„Es stinkt heute noch.“
„Meckere nicht herum, sondern komm zurück unter die Brücke. Wir haben noch sehr viel vorzubereiten“, seine Frau ließ den kleinen Weg, der sich durch einen nahen Wald zu einem Dorf hin schlängelte hinter sich. Ebenso wie die elefantenartigen, manneskopfgroßen Spuren geschmolzenen Schnees.
Gegen seine Frau war ein Ukra Mann, so stark er auch sein mochte, machtlos und so folgte er ihr zu der kleinen Brücke, die die Schlucht überspannte.
„Die Trolle hatten schon einen Grund in die Stadt zu ziehen“, schimpfte Oki und sah den Hang hinunter, der zum Eingang ihrer Wohnung unter der Brücke führte.
„Ja, sie arbeiten jetzt als Sklaven eines Großfirmenmeisters. Schuften vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang und verdienen gerade genug zum Essen.“
„Die Zeiten sind halt hart.“
„Dann meckere nicht herum, sondern fange an zu Arbeiten.“
Mit bärigem Grummeln stampfte der Ukra einmal kräftig auf. Ein Stein löste sich aus der Brücke und verschwand in die Tiefe.


Es dämmerte bereits, als Nirisch, er war ein Zwerg von kleiner Art, den Wald verließ und auf die Brücke trat. Auf seinen Schultern trug er einen Rucksack, der größer war als er selbst und der zudem nicht gerade leicht wirkte. Trotzdem pfiff er in bester Zwergenart eines der alten Bergmanslieder.
In der Mitte der Brücke blieb er stehen und hob seinen Blick zu den hoch aufragenden Bergen empor. Seinen Gedanken durch leichtes Nicken bejahend trat er dreimal kräftig auf die Brücke.
„Das muss die Brücke sein, von der die Menschen behaupten, man könne sich hier etwas wünschen“, er setzte den Rucksack ab und lehnte ihn gegen eine der Mauern.
„Wärmer ist es hier auf der Brücke. Ja, das muss ich eingestehen.“
Er blickte über den Rand der Brücke, der, aus seiner Sicht, Mannshoch war. Dafür war die andere Seite fast genauso tief wie einer der Schächte, an denen er mitgearbeitet hatte. Er setzte sich auf den Stein und holte ein kleines Bündel hervor. Auch Zwerge mussten hin und wieder etwas essen, auch wenn es bei ihnen seltener der Fall war.
„Aber zu glauben, wenn man sich auf dieser Brücke etwas wünscht, wird es in Erfüllung gehen. Tzz tzz“, er biss ein großes Stück vom Brot ab, schüttelte den Kopf und schmatzte, „So etwas können auch nur Menschen glauben.“
Ein paar Vögel kamen herbeigeflogen und pickten die Krümel, die dem Zwerg hinunter vielen, auf. Das Wasser in der Tiefe unter der Brücke rauschte zwischen Eis und Schnee. Nirisch stand auf und blickte sich zu allen Seiten um.
„Vielleicht“, ihm war, als würde ein Grummeln von unter ihm kommen und er blickte auf den rauen Stein.
„Ein Versuch kann ja nicht schaden. Aber was soll ich mir wünschen?“
Zwerge haben es mit der Stärke, sie haben es mit dem Stein, aber leider nicht mit der Geschwindigkeit und so dauerte es einige Zeit, bis Nirisch sagte: „Ich wünsche mir eine neue Axt.“
Donner erklang und der Himmel verdunkelte sich.
Nirisch sprang von der Mauer und trat einen Schritt zurück, ohne den Blick vom Himmel zu wenden. Er hatte so seine eigenen Erfahrungen mit den Göttern. Doch von oben kamen nur Schneeflocken, die auf die Brücke vielen und sanft dahin schmolzen. Er zuckte mit den Schultern. Das Donnern verklang erst, als er plötzlich von einem Gedanken durchfahren wurde.
„Halt. Ich wünsche mir einen neuen Hammer.“
Das Donnern begann erneut.
„Nein, nein. Eigentlich könnte ich ein paar neue Silberarmreife für meine Frau gebrauchen.“


Grissa saß in ihrem großen Stahlstuhl und strickte gerade einen Pullover, der nur einer Waldelfe oder einer Puppe gepasst hätte.
„Silberarmreife sind eigentlich keine schlechte Idee“, erklärte sie ihrem Mann, der gerade hereingestürmt kam und einen Hammer in die Ecke warf, in der bereits eine Axt in der Felsmauer steckte.
„Das kommt überhaupt nicht in den Fels“, fauchte er und rannte in seine Werkstatt zurück.
„Immer denkst du nur an dich. Er denkt wenigstens an seine Frau.“
Oki schlug mit seinem schweren Hammer mehrmals auf ein neues Stück Silber, dass die Form eines Armreifs annehmen sollte.
„Aber wenn ich ihr etwas schenke, dann wollen die anderen Frauen auch etwas haben. Rother, Muth und Kursch würden sauer auf mich sein. Denn dann müssten sie auch etwas schenken“, hörten die Ukra Nirisch überlegen, „Ich weiß! Ich wünsche uns einen neuen Feuerkelch. Davon haben alle etwas, wenn es in der Höhle wieder schön warm ist, ohne dass man ständig Holz nachlegen muss.“
„Ja, Zwerge scheinen ihre Frauen sehr zu lieben“, schnaubte Oki und pfefferte den fertigen Armreif zu den anderen Dingen in die Ecke.
„Der Kerl soll sich endlich entscheiden!“
„Ja. Er scheint mir ein klein wenig unentschlossen zu sein“, gab Grissa zu, „Vielleicht sollten wir ein Schild vor der Brücke aufstellen und darauf schreiben: „Erst denken, dann wünschen.“
Oki brummte, als er hörte wie Nirisch zu einer weiteren Korrektur seines Wunsches ansetzte. Er ließ den Hammer fallen und stürmte zur Tür. Sie flog mit einem lauten Krachen auf. Schnee kam herein und verdampfte auf der Haut des wütenden Ukra.


Der Zwerg hatte die Arme verschränkt und strich sich mit einer Hand durch den Bart.
„Ach was. Ich kann mir doch noch was viel größeres Wünschen“, er hörte den Knall der Tür, doch im selben Moment sprang schon die Gestalt von Oki über den Rand der Brücke.
Nirisch wurde von der Erschütterung umgeworfen und landete auf seinem Allerwertesten, der jedoch gut gepolstert war. Zumindest sagte er das immer, frechere Zungen behaupteten, er sei schlicht und einfach dick.
Sein Blick ging von den Füßen über die wie Baumstämme wirkenden Beine und den rot glühenden Bauch hin zu einem wütend drein blickenden Gesicht.
„Kannst du dich langsam mal entscheiden, was du haben willst? Mir geht dein ständiges Korrigieren auf die Glut!“
„Auf die Glut, ja“, gegenüber Nirisch war Oki ein wahrer Koloss und dessen rot glühende Haut erinnerte an Lavaströme.
„Ich habe die Schnauze voll. Jedes Jahr kommen mehr und mehr von euch und wünschen sich alles Mögliche und alles Unmögliche auch“, der Ukra beugte sich über den Zwerg und zeigte mit seinem glühenden Zeigefinger auf ihn.
„Was denn zum Beispiel?“, fragte Nirisch vorsichtig.
„Angefangen hat es mit Socken und Schaufeln. Doch das war irgendwann nicht mehr genug“, erklärte Oki und etwas von seinem Zorn verdampfte mit kleinen Schneeflocken, „Sie wollten Pferde. Die, die ich aus Gummi goss, waren ihnen aber nicht gut genug. Weißt du wie schwer es ist, hier in den Bergen Pferde zu fangen?“
Nirisch schüttelte den Kopf. Zwerge reiten für gewöhnlich nicht auf Pferden, sie ziehen es vor mit ihren eigenen Füßen zu laufen.
„Das war aber noch nicht das beste. Einmal wollte einer eine Kutsche, die ohne Pferde fährt. Schließlich wollte einer eine Maschine, die für ihn rechnet. Hat man so etwas schon mal gehört?“
„Nein. Das ist ja“, der Zwerg wurde unterbrochen.
„Genau. Das ist hirnrissig. Es ist schlichtweg verrückt anzunehmen, eine Maschine könnte jemals so etwas tun.“
Oki machte eine Pause, als es anfing stärker zu schneien und Schneeflocken auf ihm mit einem leisen Zischen verdampften.
„Also was ist?“
Nirisch blickte den Ukra ohne Verständnis an.
„Was wünschst du dir?“
„Ich glaube, ich verzichte besser auf einen Wunsch“, der Zwerg versuchte zu lächeln und sich zurückzuziehen.
„Nein. Das geht nicht. Du musst dir jetzt etwas wünschen.“
„Dann ähm“, innerhalb von einer Minute gingen ihm mehrere Wünsche durch den Kopf, was zumindest für die Verhältnisse eines Zwerges bedeutete, dass sich seine Gedanken überschlugen.
„Nun?“, Oki war ein sehr ungeduldiger Ukra.
„Ich wünsche mir, dass ich keinen Wunsch brauche.“
Nirisch beglückwünschte sich schon selbst für seinen überaus genialen Einfall. Er wandte sich ab und schulterte seinen Rucksack, doch eine kräftige Hand packte ihn und drehte ihn herum, wie man ein zu Boden gefallenes Toast mit Marmelade herumdreht.
„Nicht so schnell. Das ist kein gültiger Wunsch.“
„Es ist ein Wunsch genügt das nicht?“
„Nein.“
„Dann wünsche ich mir, dass du mir verrätst, was ungültige Wünsche sind.“
„Och, das ist einfach. Jemanden tot wünschen, oder jemanden eine Krankheit wünschen. Die Vernichtung des Universums zu wünschen. Die Zerstörung der Brücke zu wünschen. Sich einen lebenden Drachen zu wünschen. Natürlich auch, sich keinen Wunsch zu wünschen. Aber auch sich zu wünschen die Welt wäre wieder eine Scheibe.“
„Sehr schön. Vielen Dank. Dann werde ich mal weiter ziehen.“
„Ach so, das hätte ich fast vergessen: Sich zu wünschen, das man die Information kriegt, was man sich nicht wünschen darf, gehört auch dazu.“
Nirisch wurde erneut von der kräftigen Hand des Ukra gepackt und herumgedreht. Der Zwert blickte in die Augen des Ukra, in welchen ein Feuer brannte und sagte: „Das wird langsam albern, oder?“
„So sind halt die Regeln. Und jetzt wünsche dir was Gescheites. Ich habe immerhin noch viel zu tun!“
„Ich will mir aber nichts mehr wünschen“, sagte Nirisch mit typisch zwergischer Sturheit und verschränkte die Arme vor der Brust.
Nirisch wurde ein paar Zentimeter hochgehoben.
„Du wünschst dir jetzt was!“
Er strampelte in der Luft und rief: „Ich habe aber keinen Wunsch.“
„Wünsche dir einfach was. Von mir aus einen Topflappen, einen Schweinebraten oder einen Barren Gold“, die Haut des Ukra glühte stärker und dem Zwerg wurde sehr warm.
„Ich werde mir nichts wünschen“, brüllte Nirisch zurück.
Rauch stieg vom glatzköpfigen Ukra auf. Seine Frau setzte unterdessen einen Tee auf und fand, dass sich auf der Brücke genau die beiden richtigen Sturköpfe gegenüber standen. Sie würde beide auf einen Tee hereinholen, wenn sie sich beruhigt hatten.
„Oh doch. Du wirst dir jetzt etwas wünschen. Ich bin doch nicht für nichts hier raus in das Schneegestöber gekommen.“
„Nein“, Nirisch schüttelte vehement den Kopf. Er dachte nicht im Traum daran nachzugeben.


„Darf ich mir dann etwas wünschen?“, fragte eine zarte Stimme.
Ein kleines Mädchen stand unweit der Brücke und blickte die beiden aus großen, runden Augen an. Ihre Hände waren in dicke Handschuhe verpackt und auf ihrer Mütze lag etwas Schnee. Oki und Nirisch wandten beide gleichzeitig den Blick in ihre Richtung. Daraufhin ließ Oki den Zwerg los, so das dieser auf den Stein der Brücke plumpste. Der große, dicke Ukra starrte das Mädchen an. Seine Haut glühte im hellen rot. Nur um den Bauch und die Handglenke herum hatte er einen weißen Ring aus Asche.
„Ich bin Lea. Bist du Der-der-die-Geschenke-bringt?“, fragte das Mädchen etwas ängstlich.
Okis Zorn war noch nicht verraucht. Doch von allen Zaubern auf den Welten scheint der, der Kinder ein ganz besonderer zu sein und so blieb er stumm.
Das Mädchen nahm dies als Bestätigung, sah zu Nirisch und sagte: „Dann musst du sein fleißiger Helfer sein. Komisch, ich hab dich mir immer größer vorgestellt.“
Nirisch und Oki sahen sich verblüfft an.