Supernova

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Vor Milliarden von Jahren, niemand vermag genau zu sagen wann, gab es nichts. Nichts weiter, als einen endlos kleinen Punk, in dem alles zusammengepresst war. Sei es aus der Laune irgendwelcher Götter heraus oder aus einem dummen Zufall, jedenfalls entstand das Universum. Mit einem Schlag entstanden Zeit und Raum, mit deren Hilfe die ersten Sterne entstanden. Ihr heißes Feuer brannte über fast unvorstellbar lange und dennoch kurze Zeit, ehe sie genauso schnell vergingen, wie sie entstanden waren. Neue Sterne entstanden und mit ihnen Planeten. Unter all diesen Planeten, gab es mindestens einen, der Leben hervorbrachte …


Es war drei Uhr in der Früh. Nicht das es einen Unterschied gemacht hätte. Vor dem Fenster der Kabine von Kommandant Brandes zeigten sich schließlich immer die Sterne, immerhin befand er sich auf einem Raumschiff. Schon vor Monaten hatte er das echte Zeitgefühl verloren und sich an einen 22 Stunden und 34 Minuten langen Tag gewöhnt. Das war die Tageslänge, die man für ihn als optimal ausgerechnet hatte. Doch diese Zeit war für diese Nacht eigentlich noch nicht zu Ende. Gewöhnlicherweise achtete das System pingelig genau darauf, dass er auf die Sekunde genau seinen Schlaf bekam. Greg Brandes rieb sich den steifen Nacken und schwang die Beine über den Bettrand. Wenig später sah er aus dem Fenster hinaus. Vor ihm lagen die Sterne in die unendliche Dunkelheit gehüllt. Anhand der Sterne konnte er nicht sagen, ob sich das Schiff bewegte oder nicht. Selbst bei einem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit zogen die Sterne immer nur sehr langsam und allmählich vorbei. Es musste irgend etwas passiert sein, dass das Schiff dazu veranlasst hatte, ihn vorzeitig aus dem Schlaf zu wecken.
„Computer. Weshalb wurde meine Schlafphase unterbrochen?“, fragte er in den Raum.
Das System des Schiffes überwachte ständig sämtliche Räume und sämtliche Personen, so, dass im Notfall schnell reagiert werden konnte. Auf einem Raumschiff, wo man nicht mal so eben Ersatz für Einrichtungen oder Menschen bekommen konnte, war dies überlebenswichtig.
„Die Sensoren haben Anzeichen für eine Supernovaexplosion registriert. Ihre Anwesenheit im Kommandoraum ist notwendig“, erklärte eine ruhige und sachliche Stimme, der man kaum anmerkte, das sie synthetisch war.
Das war im Grunde genommen eine gute Nachricht, denn der Auftrag des Schiffes war die Erforschung der Sterne und eine Supernova war etwas, das nicht alle Tage vorkam, schon gar nicht, wenn man sich gerade in der Nähe befand.
„In welche Entfernung fand die Explosion statt?“, fragte Brandes um abschätzen zu können, wie lange sie brauchen würden um eine günstige Beobachtungsposition zu erreichen.
„Die Explosion fand in vier Lichtminuten Entfernung statt.“
Brandes schluckte. Für ein paar Sekunden erstarrte er. Vier Lichtminuten. Der Computer konnte bei dieser Angabe einfach ganz ruhig bleiben, aber er, obwohl er schon zwanzig Jahre Weltraumerfahrung hatte, musste sich sehr stark zusammenreißen. Er atmete schnell aus, dachte gar nicht mehr darüber nach, sein langes Nachthemd durch richtige Kleidung zu ersetzen, sondern stürmte aus seinem Raum und lief den Gang entlang in die Kommandozentrale. In dieser konnten Menschen im Bedarfsfall in die Computersteuerung eingreifen. Als er die Tür zum Raum erreichte, hörte er hinter sich bereits die anderen sechs Mitglieder der Besatzung, die ebenfalls aus ihren Quartieren kamen.
„Was ist passiert?“, hörte er die brummige Stimme des leitenden Astronomen, Rainer Markwardt.
„Eine Supernovaexplosion. In vier Lichtminuten Entfernung“, die Tür zum Raum glitt hinter ihm wieder zu.
In der Nacht gab es niemanden, der sich in dem Raum aufhielt. Das Schiff überwachte alles vollautomatisch und gab der Crew immer rechtzeitig Bescheid, wenn etwas geschah. Greg fragte sich allerdings, warum der sterbende Stern nicht früher entdeckt worden und der Kurs des Schiffes geändert worden war. Um diese Frage zu klären, rief er auf einem der Bildschirme die Navigationsdaten auf und stockte ein weiteresmal.
„Vier Lichtminuten? Das ist völlig unmöglich“, sagte Rainer selbstsicher, „Wir haben gestern im Umkreis von zwanzig Lichtjahren keinen Stern entdecken können, der in der nächsten Zeit seiner Explosion entgegensieht.“
„Glauben sie es oder nicht. Dort ist der Stern“, Greg deutete zu einem zentralen Bildschirm, der das Licht eines Sterns zeigte, der gerade sein Lebensende vollzog. Der Computer hatte die Helligkeit bereits so weit heruntergeregelt, das außer dem Licht des Sterns nichts anderes zu erkennen war.
„Dann bringen sie uns hier weg. Wenn uns die Materiewelle des explodierten Sterns erreicht, werden wir verglühen wie ein Stück Holz in einem Hochofen“, meinte einer der anderen Wissenschaftler, mit Panik in der Stimme.
„Der Überlichtantrieb ist ausgefallen“, erklärte Greg.
„Dann bringen sie ihn wieder in Ordnung!“
„Nicht möglich. Die Strahlungswerte in der Umgebung sind zu hoch um ein stabiles Hyperraumfeld aufzubauen“, diese ernüchternde Tatsache kam von Kiara Wojczewski, der gerade einmal fünfundzwanzigjährige Technikerin des Schiffes.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Rainer.
Greg drehte sich nicht um, als er sagte: „Wir können gar nichts mehr tun. Außer zu warten.“
Keiner schien mehr etwas sagen zu wollen.
Minuten vergingen, während auf dem Bildschirm nur noch das Flackern, der durch hohe Strahlung verursachten Störungen zu sehen war. Die Technik, die sie umgab, konnte ihnen nun nicht mehr helfen. Nichts, niemand konnte ihnen noch helfen. Wie zur Bestätigung fiel der Computer aus. Sie sahen zu dem kleinen Fenster, durch das helles Licht hereinströmte. Das einzige Licht, das sie noch hatten. Selbst die Verzweiflung, die Panik war in dem Moment verflogen, als das Meer aus Licht etwas dunkler wurde und die ersten Trümmer des Sterns heranwuchsen. Kurz bevor das Schiff von einem der Trümmer getroffen wurde, glaubte Greg ein Gesicht in der Masse der Trümmer zu sehen, das ihn anlächelte, als ob es sagen wollte, das alles gut werden würde. Doch er wusste es besser. Dies war das Ende. Er schloss die Augen.


Wärme umgab ihn. Eine Wärme, die in jede Faser seines Körpers vordrang. Anders als er angenommen hatte, war sie jedoch nicht schmerzhaft, sondern angenehm. Er verlor den Boden unter den Füßen. Verlor die Orientierung und trieb in dieser Wärme, in dem Licht das von ihr ausging und ihn wie ein undurchdringlicher Schutz umhüllte.
Er glaubte eine leise Stimme aus weiter Ferne zu hören, während er das Gefühl hatte, langsam ein Teil der Wärme zu werden, sich in ihr aufzulösen.
„Bitte, verlass die Welt nicht“, drang ein Flüstern an sein Ohr, „Bleibe hier. Öffne deine Augen.“
Seine Gedanken wollten weiter treiben, sich mit der Wärme vereinen und in ihr untergehen. Doch der gleiche, kleine Funke Neugierde, der ihn vor Jahren dazu gebracht hatte, auf einem Raumschiff anzuheuern, hielt ihn fest, bis er langsam die Augen öffnen konnte. Er stand inmitten von Licht, das sich ohne Boden, Decke und Wände weiß bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Doch das war nebensächlich. Vor ihm schwebte eine Gestalt in dem Meer aus Licht. Ihr langes, bis zum Bauch reichendes Haar schillerte in allen Regenbogenfarben. Ihre schlanke, weibliche Form war in ein grünes Kleid gehüllt. Ihr Gesicht hatte schöne, gleichmäßige Züge und in ihren blauen Augen glaubte Greg, die Unendlichkeit des Weltraums, mit seinen Milliarden Sternen, sehen zu können. Er blickte sie an, ohne seine Überraschung verbergen zu können.
Er versuchte sich zu erinnern, was passiert war. Während die Frau einfach vor ihm schwebte und ihm lächelnd noch einen Augenblick gab, um seine Gedanken zu sortieren, kehrten die Erinnerungen langsam zurück. Sein Schiff war zerstört. Er und der Rest seiner Crew waren tot. Der sterbende Stern hatte sie alle mit sich genommen. Doch das warf eine Frage auf. Wo befand er sich nun? Er erinnerte sich dunkel daran, dass es früher unter den Menschen etwas gegeben hatte, das man Glauben genannt hatte. Schon seit Jahrzehnten gab es niemanden auf der Welt mehr, der noch an irgend einen Gott oder gar den Himmel glaubte. Die Wissenschaft konnte vieles von dem erklären, was früher Göttern zugeschrieben worden war und man glaubte fest daran, auch auf alles andere noch eine Antwort zu finden. Konnte es sein, das er sich nun doch dort befand? An diesem Ort, von dem die Menschheit überzeugt war, das es ihn nicht gab? Oder spielten ihm seine Sinne in den letzten Sekunden, bevor sein Leben ihn verließ, Streiche? Er wusste, er würde keine Antworten finden, wenn er keine Frage stellen würde.
„Wer bist du?“, fragte er und seine eigene Stimme kam ihm groß und gewaltig vor, wie etwas, dass in dieser Umgebung störte.
„Ich bin Xince“, erwiderte die Frau freundlich, aber ohne ein Wort mehr zu sagen, als die Antwort erforderte.
„Und wo bin ich hier? Was bist du?“, ihm schossen noch mehrere Fragen durch den Kopf, doch diese beiden kamen zuerst hervor.
„Du bist bei mir. Ich bin die Beschützerin des Sterns, in dessen Nähe ihr euch befindet.“
„Ein Stern ist nur eine Ansammlung von Wasserstoff und Helium, die unter ihrem eigenen Druck so stark verdichtet wird, dass eine Kernfusion beginnt. Nichts und niemand kann dort leben“, sprudelte aus ihm heraus, was er einst gelernt hatte.
Die Frau lächelte weiterhin, schien weder erstaunt über die Sichtweise des Menschen zu sein, noch böse darüber zu werden.
„Ist Leben nur das, was du bereits kennst, so lebe ich nicht. Ich existiere in dem Stern und bewahre ihn vor Ungleichgewicht.“
„Wieso hast du dann nicht verhindert, das er explodiert?“, fragte der Wissenschaftler im Raumschiffskommandanten.
„Es war für mich an der Zeit“, die Frau senkte die Stimme und den Blick, „Doch es sollte nicht auch euer Tod sein. Ich wollte euch keinen Schaden zufügen und deshalb werde ich euch zurückschicken.“
„Aber niemand kann die Explosion eines Sterns überleben“, erklärte Greg.
„Ich kann es“, erklärte die Frau, „Ich lebe in jedem Stück des gestorbenen Sterns weiter. So wie ich es kann, könnt ihr es auch.“
„Aber“, setzte er an, er hatte noch so viele Fragen, wollte gerne wissen, warum sie sich ausgerechnet ihm zeigte, doch stoppte er wieder, als ihm bewusst wurde, das er keine weiteren Antworten erhalten würde.
„Schließe wieder die Augen“, flüsterte die Frau.
Er tat, was sie von ihm verlangte. Der Anblick der Frau und des hellen Lichts wurde durch Dunkelheit ersetzt. Dann trieb er in die Wärme zurück, die ihn wieder willkommen hieß und ihn um floss, wie ein Mantel. Letztendlich vergaß er das hier und jetzt und kehrte zurück.


Ein heftiger Ruck ging durch das gesamte Schiff. Greg verlor den Halt. Er viel rückwärts wurde gegen die Wand gedrückt und merkte einen stechenden Schmerz in seinem linken Arm. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst und ihm wurde schwarz vor Augen. Als er diese wieder öffnete, erblickte er nichts als Dunkelheit. Auch das letzte Licht war verschwunden.
„Was ist passiert?“, fragte Rainer Markwardt.
„Sollten wir nicht tot sein?“, fragte Kiara verwirrt.
Greg wollte sich an einer Konsole hinauf ziehen, doch der Schmerz in seinem Arm war zu stark. Wahrscheinlich war er gebrochen, doch das war im Moment nebensächlich. Viel wichtiger war, was gerade geschah. Er ließ sich wieder auf den Boden sinken, als ihm für einen kurzen Moment schwindelig wurde. Das Gefühl kannte er sehr gut. Es kam nicht von seiner Verletzung. Es war der Schwindel, den jeder Mensch verspürte, wenn er zwischen Unter- und Überlichtgeschwindigkeit wechselte. Dann drang wieder etwas Licht durch das kleine Fenster hinein, das Licht von unzähligen Sternen und Galaxien, die in den Weiten trieben.
„Wir haben gerade den Hyperraum verlassen“, hörte er Markwardt überrascht sagen.
Kiara Wojczewski war es, die zu ihm hinüberkam und ihm auf die Beine half. Er ging mit ihr und zusammen hatten sie ein paar Augenblicke später eine Notfallenergieversorgung an einen Computer angeschlossen. Die wichtigsten Dinge, wie die Luftreinigung und Antrieb funktionierten wieder.
„Ich dachte, der Hyperraumantrieb sei nicht mehr startbar gewesen“, meinte Motanzu.
„Das war er auch nicht“, erklärte die Technikerin, „Es ist physikalisch eigentlich völlig ausgeschlossen, das bei so einer hohen Strahlenbelastung ein stabiles Eintrittsfeld für den Hyperraum geschaffen werden kann.“
„Aber wieso haben wir dann gerade einen Hyperraumsprung erlebt?“, fragte Markwardt verwirrt.
„Ich habe keine Ahnung“, die Frau schüttelte den Kopf.
„Vielleicht muss man doch nicht alles erklären können“, sagte Greg, während er aus dem Fenster zu den Sternen blickte. Er konnte sich weder an Xince erinnern, noch an die Gefühle, die er empfunden hatte, während dieser Augenblicke. Überraschung, Neugierde und Verwunderung. Doch manchmal, Nachts, hatte er nun etwas, das die Menschen ansonsten nicht mehr kannten: Träume.